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Peer Golo Willi

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Die meisten Gemälde der Ausstellung mit Werken des chinesischen Künstlers Jin Lie (* 1969 in Shanxi, China) sind einander zunächst sehr ähnlich, sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich Format, Farbauswahl und einiger Details. Es sind leere Räume, die in einfacher Perspektive Tiefe erhalten. Jeweils am linken Bildrand ist in streng vertikaler Drapierung ein Vorhang zu sehen, dessen übergang zum Raum jedoch durch einen schmalen Riss gestört wird.

Dominant ist die Leere der Stirnwand der Räume – eine Leere, die Verwirrung stiftet. Jin verwendet für die großen Flächen eine schmale Farbpalette, meist aus nur leicht changierenden Pastelltönen. In akkuratem, gleichzeitig jedoch dynamischem Duktus ausgeführt, wirken diese Flächen gleichwohl fast monochrom. Eine reine Abstraktion wird so nicht erreicht, auch wenn die Wirkung durchaus auf eine Weise meditativ sein kann, wie es gemeinhin vornehmlich die Abstraktion vermag.

Die Vorhänge heben sich von der Raumtiefe ab und scheinen selbst nicht Teil des Raumes zu sein. Jin hat hierfür im Vorfeld jeweils einen vorgefundenen Faltenwurf auf Papier reproduziert, diesen ausgerissen und das dünne Papier mitsamt seinem Schatten abfotografiert und als Vorlage für das Gemälde verwendet. Dieser Erarbeitungsprozess des Vorhangmotivs erklärt den eigentümlichen Übergang zur Raumdarstellung.

Der leere Raum steht auf unterschiedlichen Ebenen als Metapher für Identität, als Leerraum, der entleert sein kann oder, möglicherweise auch gleichzeitig, dazu bestimmt ist, gefüllt zu werden. Auch die Fragmente des Vorhangs, der nicht verbirgt, nicht völlig freigibt und im Grunde nicht Teil der Leere ist, legen eine ähnliche Auslegung nahe. Für Jin ist die Frage nach Identität biographisch und historisch nachspürbar.

Jin, der 1990 China verlassen hat und nach Deutschland eingewandert ist, verbindet beide Ebenen, indem er persönliche Erfahrungen und die Geschichte Chinas, insbesondere die Kolonialgeschichte im engeren und im weiteren Sinne, in dieser Ausstellung zusammenführt.

So zeigt ein weiteres Gemälde die schemenhafte Andeutung eines Ordens mit dem Porträt einer Frau. Dieser Orden mit dem Konterfei der englischen Königin Viktoria, so erklärt Jin, wurde den Kommandos verliehen, die am Zweiten Opiumkrieg teilgenommen hatten. Die etwas verzerrte Form und vor allem die Blässe der Farben, die Lückenhaftigkeit der Wiedergabe des Motivs und die so erneut entstehende Leere verraten, dass Jin die Vorlage vor dem übertrag auf die Leinwand ähnlich bearbeitet hat wie die der Vorhänge in den Raumbildern.

Vertraut und zugleich fremd erscheint die amerikanische Flagge im Bild mit dem Titel 1987. Es fehlen die Sterne. Und die Streifen sind nicht rot sondern violett. Dieses Bild, so Jin, sei durch seine Kindheit motiviert, in der er sich, nach der wirtschaftlichen Öffnung Chinas in den 1970er Jahren, fast zwangsläufig, über die nicht gänzlich zensierten Medien mit der amerikanischen Popkultur auseinandersetzte. Der Symbolgehalt dieser Flagge wird nicht nur ergänzt durch das Biographische (zum Beispiel Breakdance) und das Politisch-historische (Flottenpolitik im Pazifik). Sie erhält darüber hinaus durch die bildliche Verfremdung auch etwas durchaus Ironisches.

Peer Golo Willi


JIN LIE

Most paintings in the exhibition of work by the Chinese artist Jin Lie (* 1969 in Shanxi, China) at first seem very similar, differing only in format, colour selection and some details. They are empty rooms, which obtain depth through simple perspective. At the left of each painting, a curtain is draped in strict verticality, its transition to the room however, is disturbed by a thin rip.

The emptiness of the rear wall of the rooms is dominant - an emptiness which causes confusion. Jin uses a limited colour spectrum for the larger surfaces, usually comprising only slightly varying pastel shades. Implemented in an accurate yet dynamic manner, these surfaces appear to be nearly monochrome. Pure abstraction is not attained in this manner, even if the effect can be quite meditative in a certain way, as generally primarily evinced in abstraction.

The curtains stand out against the spatial depth and do not seem to be part of the room. Jin reproduced a found arrangement of folds using paper, ripped it, and photographed the thin paper along with its shadow to use as a template for the painting. This formulation process of the curtain motif explains its peculiar transition as the image of the room.

On several levels, the empty room is a metaphor for identity, a space which could be vacated, or, possibly also simultaneously, could be destined to be filled. Also the fragments of the curtain, which does not conceal nor fully uncover and effectively is not part of the emptiness, suggest a similar interpretation. For Jin the question of identity is biographically and historically traceable.

Jin, who left China in 1990 and immigrated to Germany, connects both levels in this exhibition by bringing together personal experiences and the history of China, in particular colonial history in the narrow and in the broader sense.

Along these lines, one painting shows the hazy suggestion of a medal featuring the portrait a woman. This medal with the visage of the English queen Victoria, Jin explains, was awarded to the commandos who had participated in the Second Opium War. The somewhat distorted shape and above all the paleness of the colours, the patchiness of the motif's rendition and the emptiness that in turn emerges anew from this, reveal that Jin treated the template similarly to those of the curtains in the room paintings before transferring it onto the canvas.

The American flag in the picture titled 1987 appears both familiar and at the same time estranged. The stars are missing. And the stripes are not red but violet. This picture, so Jin, was inspired by his childhood, in which he was faced with American pop culture via the not fully censored media, nearly inevitably after the economic liberalization of China in the 1970s. The symbolism of this flag is not only supplemented by biographical aspects (such as breakdancing) and political or historical ones (Pacific Fleet policies). Beyond this, it acquires a hint of irony through its visual alienation.

Peer Golo Willi

English translation by Zoë Claire Miller